Die Erinnerungskultur in Deutschland steht an einem Wendepunkt. Der Austausch verschiedener Communities stellt eine wichtige Säule für die Arbeit an einer pluralen Erinnerungskultur und unserer pluralen Gesellschaft dar. Nur im Gemeinsamen können zukunftsgerichtete, solidarische Formen der Erinnerung erprobt werden.
Für die Arbeit an unserer Gesellschaft sind Räume der Zusammenarbeit unabdingbar. Bei der Entwicklung einer pluralen Erinnerungskultur muss eine besondere Aufmerksamkeit auf der Vernetzung von Communities und Betroffenen von Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen, von rechter und antisemitischer Gewalt liegen. Im gemeinsamen Erinnern liegt eine Chance für unsere demokratische plurale Gesellschaft, Wertschätzung und Partizipation zu stärken.
Die Coalition for Pluralistic Public Discourse (CPPD) erarbeitet seit 2021 als kollaboratives Netzwerk von über 200 Partner*innen künstlerische, zivilgesellschaftliche und bildungspolitische Konzepte für ein pluralistisches gesellschaftliches Erinnern. Hierzu gehört die Festivalreihe »Memory Matters«. In Neumünster wurde das Festival mit der Sinti Union Schleswig-Holstein durchgeführt. Neumünster ist ein wichtiger Standort für »Memory Matters«, da die Stadt ihre eigene Geschichte der Ausgrenzung von Minderheiten, insbesondere der Sinti* Community, trägt. Genau diese Community ist es, die sich heute für eine plurale Erinnerungskultur in ihrer Stadt engagiert.
Ist solidarisches Erinnern unter Wahrung der Einzigartigkeit communityspezifischer Erinnerungen möglich? Welche Rolle spielen Gedenkinitiativen in der solidarischen Erinnerungsarbeit? Wie kann eine solidarische Erinnerungspraxis gesellschaftlicher Polarisierung entgegenwirken? Diese Fragen wurden im Rahmen des Festivals diskutiert und neue Erkenntnisse gewonnen. Es zeigte sich, dass sich verschiedene Communities in ihrer Erinnerungsarbeit durch Vernetzung solidarisch ermutigen und Erinnern als Funktion einer pluralen und demokratischen Gesellschaft stärken.
Max Czollek, Kurator der CPPD, betonte, dass der Rechtsruck in Europa die Vorstellung einer postmigrantischen Gesellschaft als gesellschaftstragendes Konzept stark herausfordere. Neue erinnerungskulturelle Ansätze können dabei helfen, eine tragfähige plurale Gesellschaft zu entwickeln. Ibrahim Arslan, Überlebender der Anschläge von Mölln, betonte die wichtigen strukturellen Impulse der Gedenkinitiativen zur Demokratisierung der deutschen Erinnerungslandschaft. Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschlands, rief im Zuge aktueller Krisen zu mehr Empathie und Solidaritätsbewusstsein auf. Von kraftschöpfenden Erfahrungen von Solidarität unter Betroffenen sprach Kelly Laubinger, Vorsitzende der Sinti Union Schleswig-Holstein. Das Publikum unterbrach die vom Jo Frank moderierte Paneldiskussion mehrmals durch Szenenapplaus.
Räume des Austauschs werden auch in Zukunft für die Weiterentwicklung unserer hiesigen Erinnerungskulturen benötigt. Die Veranstaltung in Neumünster war Teil der Festivalreihe »Memory Matters« der CPPD, die 2024 in vier deutschen und zwei europäischen Städten mit Veranstaltungen, Workshops, künstlerischen Positionen und Diskussionen realisiert wird.
Vom 27. bis 31. August 2024 findet die nächste Ausgabe von »Memory Matters« in Dortmund zum Thema „Erinnerungskultur und Fußball“ statt.
Die CPPD ist ein Programm von DialoguePerspectives e. V. | Fotos: Kaja Grope, ©2024