12. Juni 2025 | Halle (Saale)
Eine Veranstaltung in Kooperation mit TEKİEZ, Raum für Erinnerung und Solidarität
Die Verankerung gegenwärtiger deutscher Gewaltgeschichte im erinnerungs- politischen Diskurs sowie Solidarität und Stärkung von Gewalt betroffenen Menschen und deren Angehörigen – insbesondere vor dem Hintergrund einer zunehmenden Radikalisierung und Zunahme extremistischer Gewalttaten – ist ein zentrales Anliegen der CPPD. Die CPPD möchte darauf hinwirken, dass Menschen, die Ziele von Gewalt geworden sind sowie deren Angehörigen, Ressourcen von staatlicher Seite zur Verfügung gestellt bekommen und gleichzeitig eine größere Unterstützung der Zivilgesellschaft erfahren. Dies erfordert ein Umdenken der Erinnerungskultur als konkrete Ressource.
Die Veranstaltungen im Rahmen des Festivals „Memory Matters« fanden an einem erinnerungspolitsch äußerst relevanten Ort statt: Dem TEKİEZ, Raum für Erinnerung und Solidarität. Der TEKİEZ wird in Trägerschaft des Friedenskreis Halle betrieben. Am 9. Oktober 2019, Yom Kippur 5780, war er neben der Synagoge auf der Magdeburger Straße und Wiedersdorf Ort eines rassistischen, antisemitischen, rechtsextremen und antifeministischen Anschlags, bei dem zwei Menschen ermordet wurden. Die Besitzer Ismet Tekin und Rifat Tekin sind Überlebende des Anschlags. Ihnen und dem engagierten Wirken von Unterstützer*innen ist es verdanken, dass dieser Ort heute ein Treffpunkt für solidarisches Erinnern ist.
Das Vernetzungstreffen im Rahmen des Festivals „Memory Matters« , widmete sich gemeinsam mit Vertreter*innen von erinnerungspolitischen und -kulturellen Institutionen, Initiativen und Akteur*innen den Fragen, wie eine Plurale Erinnerungskultur gestaltet werden kann, die Menschen, die Ziele von Gewalt wurden, in den Vordergrund stellt, wie Erinnerungskultur Überlebende, Angehörige und betroffene Gemeinschaften stärken kann, und welche institutionellen Strukturen notwendig sind, um die Perspektiven von Initiativen und Akteur*innen nachhaltig zu verankern.
Der Workshop „Kontinuitäten des Widerstands“ unter der Leitung der Künstlerin Talya Feldman untersuchte das subversive Potenzial von Klang und Zuhören als Mittel gegen hegemoniale Strukturen. Anhand diverser auditiver Quellen wurden verdrängte akustische Narrative analy- siert und neu kontextualisiert. Die Teilnehmenden entwickelten dabei eigene klangbasierte Widerstandsformen und Strategien des Zuhörens als kritisches Werkzeug für emanzipatorische Praxis.
Im Anschluss diskutierte Co-Kurator Max Czollek unter dem Titel »Erinnern im Konflikt« mit Überlebenden, Angehörigen und Hinterbliebenen der rechtsterroristischen Attentate in München 2016, Halle 2019 und Hanau 2020 über ihre komplexen Erfahrungen im Nachgang der jeweiligen Anschläge.
Im Gespräch zeigten Sibel Leyla, Said Etris Hashemi, Anastassia Pletoukhina und İsmet Tekin anschaulich das ganze Spektrum des anhaltenden Versagens staatlicher Strukturen durch einen besorgniserregenden Mangel an Verantwortlichkeit, Ignoranz, institutionellen Rassismus, Widerstände, Verdrängung und fehlender Aufarbeitung auf. Sie beleuchteten die widersprüch-liche Rolle der Medien in der Berichterstattung und erörterten sowohl Unterschiede als auch Parallelen in der öffentlichen Wahrnehmung verschiedener Gewalttaten. Kritisch thematisier-ten sie die komplexen bürokratischen Hindernisse, mit denen Betroffene konfrontiert werden. Zugleich hoben sie positive Entwicklungen hervor: Die breite gesellschaftliche Solidarität und die Entstehung stärkender Gemeinschaften.
Konsens bestand in den gemeinsamen Zielen: Eine selbstbestimmte Erinnerungskultur zu ent- wickeln, umfassende gesellschaftliche Aufarbeitung zu erreichen und sowohl die individuellen Geschichten als auch die strukturellen Ursachen rechter Gewalt im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Said Etris Hashemi betonte, dass die Grundlage hierfür in der Rückgewinnung der eigenen Handlungsfähigkeit und im Gestaltungswillen der Betroffenen liege. Konkrete Beispiele für diese Selbstermächtigung seien das Festival der Resilienz, die partizipative Entwicklung von Gedenkorten und die Erarbeitung eigener Bildungskonzepte.
İsmet Tekin brachte es prägnant auf den Punkt: „Solidarität ist die beste Kraft.“ Er richtete einen eindringlichen Appell an die deutsche Zivilgesellschaft: „Wir kämpfen um eine Geschichte, die uns alle betrifft. Wir brauchen euch!“. Anastassia Pletoukhina unterstrich die Bedeutung des Teilens eigener Geschichten als „Kern der Erinnerungsarbeit, der institutionell kaum aufgegriffen wird“, und damit Empathie fördere. „Wir wollen die Bühne nicht überlassen, sondern die Kräfte bündeln, weil diese Einsamkeit, die erzeugt wird, für die Betroffenen unerträglich ist. Wenn wir von Solidarität sprechen, meinen wir sowohl die Solidarität mit der Zivilgesellschaft als auch untereinander.“ Als zentraler Punkt wurde zum Panel-Ende die Forderung formuliert: Neben der kompromisslo-sen Übernahme von Verantwortung, Kritikfähigkeit und Aufarbeitung durch Politik und Behörden müssen Angehörige gleichberechtigt in alle Prozesse einbezogen werden.
Das Panel machte deutlich: Zivilgesellschaftliche Solidarität bildet das Fundament einer pluralen Erinnerungskultur in Deutschland. Entscheidend für die Erweiterung der Hand-lungsspielräume von Gedenkinitiativen und erinnerungspolitischen Akteur*innen ist darüber hinaus eine verlässliche finanzielle Förderung – Voraussetzung für eine selbstbestimmte und wirkungsvolle plurale Erinnerungspraxis.
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Fotos: © Elena Kasnokutskaya, 2025











