CPPD | Rückblick »Memory Matters« in Dortmund: Erinnerungskultur und Fußball


Eine Plurale Erinnerungskultur ernstnehmen, bedeutet auch, die Pluralität der Orte ihres Entstehens und ihrer Aushandlung ernstnehmen: Plurale Erinnerungskulturen entstehen nicht in Gedenkstätten, sie entstehen im Zusammenleben, im Zusammenarbeiten – und auch im Zusammenspielen. Sie werden an Orten ausgehandelt, die für viele Menschen Bedeutung haben – das können Theater sein wie auch Fußballstadien. Plurale Erinnerungskultur bedeutet, Ambivalenzen zu beleuchten und das Arbeiten mit und an diesen Orten der Bedeutung zu stärken, dass sie zu Orten Pluraler Erinnerung werden.

Mit »Memory Matters« zeigten das Dietrich-Keuning-Haus, das Schauspiel Dortmund, die Nordstadtliga und die Coaltion for Pluralistic Public Discourse neue Wege im Erinnern auf: Der Schwerpunkt des Festivals Pluraler Erinnerungskultur bewegte sich dabei an der Schnittstelle von Erinnerungskultur und Fußball.

Dortmund als Teil der Metropolregion Rhein-Ruhr, früher vor allem für Stahl und Kohle bekannt, ist heute nach langjährigem Strukturwandel eine Universitätsstadt mit einer vielfältigen Kulturszene, und als selbsternannte „Fußballhaupstadt“ im Besitz des größten Fußballstadions Deutschlands. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund liegt bei über 40 Prozent. Im Zusammenleben und Zusammenarbeiten verschiedenster Communities sind im Laufe der Zeit lebendige Orte der Aushandlung entstanden, die sich heute communityübergreifend für eine Plurale Erinnerungskultur vernetzt engagieren. 

In Dortmund, wie auch in einigen anderen deutschen Städten, besitzt der Fußball eine bedeutende integrative Kraft. Insbesondere durch das Engagement zahlreicher Fan-Initiativen hat sich der Fußball in Dortmund in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Austragungsort gesellschaftspolitischer Diskurse entwickelt. Dabei agieren die Vereine in einem bemerkenswerten Spannungsfeld: Während beispielsweise die Gehälter von Profispielern oft als exorbitant und von der gesellschaftlichen Realität losgelöst erscheinen, fungieren sowohl die Spieler*innen als auch die Vereine selbst immer stärker als Akteur*innen im gesellschaftspolitischen Kontext. Sie nutzen ihren Einfluss, um gesellschaftliche Anliegen, einschließlich erinnerungspolitischer Fragestellungen, voranzutreiben. »Memory Matters« thematisierte dieses Spannungsverhältnis und zeigte auf, wie die Wechselwirkung zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und wirtschaftlichen Akteuren einen substanziellen Beitrag zur Förderung einer pluralen Erinnerungskultur leisten kann.

Pentagon spezial

Zum Auftakt des Festivals lud CPPD-Mitglied Aladin El-Mafaalani am 28. August zum PENTAGON Spezial ins Dietrich-Keuning-Haus. Vor über 300 Gästen diskutierten Mirza Demirović, Sozialwissenschaftler und Koordinator der größten Straßenfußballliga Deutschlands, der Nordstadtliga, Shary Reeves, Journalistin, Moderatorin, Schauspielerin und ehemalige Fußballspielerin, Neven Subotić, ehemaliger Fußballspieler, Autor und Gründer des Bildungsprojekts well:fair foundation, welche Rolle Fußball für eine Plurale Erinnerungskultur spielen kann. Was hat Fußball mit Erinnerung zu tun? Welche Rolle spielt Fußball im Bildungskontext? Können wir Fußball mehr Verantwortung zutrauen? Und welche Funktionen kann Fußball bei der Verhandlung von Zugehörigkeit und Identität haben? Mirza Demirović betonte, dass nationalistische Tendenzen im Fußball als Warnsignal für gesellschaftliche Veränderungen stärker in den Fokus erinnerungspolitischer Arbeit rücken sollten. Moderator Aladin El-Mafaalani verwies auf die Verflechtungen finanzkräftiger Sponsoren im Vereinswesen sowie auf die mangelnde Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, am Beispiel des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Shary Reeves hob die Wichtigkeit hervor, Rassismus und Diskriminierung im Fußball umfassend zu beleuchten, während Neven Subotić dazu aufrief, die individuelle Dimension der Erinnerungsarbeit ernst zu nehmen und sie zugänglicher zu gestalten.

 

Workshops

Drei begleitende Workshops sprachen unterschiedliche Zielgruppen zum Thema Erinnerungskultur und Fußball an: Im Workshop „Fußball vereint!? – Die Frage des Erinnerns im Fußball“ trafen sich Bildungs- und Pädagogikexperten, um gemeinsam mit Moderator und CPPD-Mitglied Samuel Stern über den Umgang mit Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und das Spannungsfeld der Erinnerung im Fußball zu diskutieren.

Ein weiterer Workshop richtete sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 27 Jahren, die mittels Theatermethoden Inszenierungen erarbeiteten. Dabei wurde von den beiden Workshopleitenden Yulia Yanez Schmidt und Felix Scharr kritisch hinterfragt, welche Rolle künstlerische Ausdrucksformen im Fußball spielen und wie sie zur pluralen Erinnerungskultur beitragen können.

Der dritte Workshop, in Kooperation mit der Nordstadtliga, unterstützte Mädchen im Alter von 8 bis 15 Jahren der „Nordstadtliga Queens“ mit unterschiedlichen ethnischen, religiösen und kulturellen Hintergründen. Unter Leitung von YouMo!-Bildungsreferent*innen und Shary Reeves wurden soziale Kompetenzen sowie identitätsstärkende und empowernde Übungen spielerisch vermittelt.

Räume des Austauschs werden auch in Zukunft für die Weiterentwicklung unserer hiesigen Erinnerungskulturen benötigt. Die Veranstaltung in Dortmund war Teil der Festivalreihe »Memory Matters« der CPPD, die 2024 in vier deutschen und zwei europäischen Städten mit Veranstaltungen, Workshops, künstlerischen Positionen und Diskussionen realisiert wird.

Am 22. September 2024 findet die nächste Ausgabe von »Memory Matters« in Dresden zum Thema „Erinnerung und Widerstand“ statt. Mehr Info!

Die CPPD ist ein Programm von DialoguePerspectives e. V. | photo credits: ©Dominik Fehr

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